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Holger is a management consultant turned volunteer. He loves to take pictures, run around in the sun, dive and he has never met a beer in his life he didn't like.
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English version: The day I didn’t see the Black Hole Drop
Das Problem ist der Affe. Er wohnt in meinem Kopf.
Immer, wenn ich nah an einem Abgrund stehe, auf einem Balkon versuche, Smalltalk zu machen oder an einem Meeting teilnehme, das in einem bescheidenen Meetingraum mit bescheidenen Panoramafenster im bescheidenen 30. Stockwerk eines bescheidenen Wolkenkratzers stattfindet, wacht der Affe auf.
Er schaut in die Tiefe und flüstert in meinem Hinterkopf:
“Spring!”
Ich versuche ihm etwas entgegen zu halten. Schließlich weiß ich, dass springen ne blöde Idee wäre.
“Aber es wird Spaß machen!” sagt er und zieht mich in die Tiefe.
Meine logischen Argumente, meine Erziehung und alles was ich gelernt habe, wohnen vorne, hinter meiner Stirn, kurz über meinen buschigen Augenbrauen. Da vorne sind die entwickelten Teile meines Hirns. Die Teile, die – rein theoretisch – in der Lage sind, die allgemeine und die spezielle Relativitätstheorie zu verstehen, die sich an philosophischem Diskurs und ethischen Diskussionen erfreuen und die einen ganzen Abend damit verbringen können, ein Pink Floyd-Album zu verstehen. Es sind die jüngsten Teile meines Hirns.
Weiter hinten, in der Nachbarschaft des Hirnstamms wohnt der Affe. Dort musste er sich verstecken, als meine Vorfahren von den Bäumen runterstiegen, um Pink Floyd-Alben aufzunehmen. Diese Teile sind alt. Und machtvoll.
Wenn Ihr keine Höhenangst habt, dann ist einer Eurer Vorfahren erfolgreich den Affen losgeworden und mit ihm die Erinnerung daran, wie viel Spaß das machen kann, von Baum zu Baum zu springen, blind darauf vertrauend, dass man schon eine Liane oder einen Ast zu greifen bekommen wird.
Wenn Ihr wie ich seid, dann habt Ihr den inneren Affen, der standig mit den zivilisierten Teilend es Hirns darum kämpft, wie viel Spaß es nun machen würde, in den Abgrund zu springen.
Dieser innere Kampf ist Höhenangst.
Ich wache langsam auf, der Bus um mich herum ist erfüllt von dem viel zu lauten, rhythmischen Pumpen der für Belize typischen Dancehall-Musik. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass wir bereits auf dem Hummingway-Highway sind, der sich von der Hauptstadt Belmopan aus durch dichten Regenwald nach Südosten an die Küste schlängelt. Wir sind um 5 Uhr aufgestanden, und haben um 6 Uhr einen Bus in Belize City bestiegen – auf dem Weg zu Ian Anderson’s Caves Branch, wo wir ein Abenteuerwochenende verbringen werden. Im Vorfeld haben wir uns auf ein paar Touren geeinigt: Am ersten Tag machen wir ein entspanntes „Cave Tubing“, also auf Autoschläuchen durch Höhlen treiben lassen, kombiniert mit ein bißchen Canopying / Zip-Lining. Am zweiten Tag steht dann der Black Hole Drop an: 100 Meter in ein schwarzes Loch abseilen. Ich habe es so geplant, dass ich einen Tag Zeit habe, mich auf den Kampf mit dem Affen am zweiten Tag vorzubereiten.
Black Hole Drop. 100 Meter abseilen. Allein beim Gedanken daran, kann ich meine Angst riechen. Angstschweiß riecht sehr speziell und ist sehr leicht von Anstrengungsschweiß zu unterscheiden. Vielleicht hat die Natur das so eingerichtet, damit das Mammut kurz überlegt, bevor es in uns reinbeißt, weil wir so stinken. Vielleicht weiß der Affe das ja.
Aber ich lenke ab.
20 Minuten später werden wir von Efren mit einem breiten Grinsen begrüßt. Efren ist der Typ, der uns für das Wochenende hierher eingeladen hat. Wir setzen uns an einen Tisch im Restaurant der Dschungel-Lodge. Auf drei Seiten umgibt uns der Regenwald mit riesigen Hecken voller Orchideen und anderer großer Blüten. Auf der vierten Seite ist die große Poollandschaft. Ventilatoren an der Decke über uns sorgen für eine kühle Brise. Der Kaffee schmeckt. Was für ein angenehmer Morgen.
„Ich hab Euch für heute für den Black Hole Drop angemeldet“ sagt Efren – als ob das irgendwas wäre, auf das man stolz sein könnte. Der Morgen kippt innerhalb von wenigen Sekunden von angenehm zu Affentheater. Freundlich fügt Efren hinzu: „Die Tour startet in 20 Minuten, fangt schon mal an, die Ausrüstung einzupacken. Und passt auf die Schlangen auf.“
„Halt dein blödes Maul!“ antworte ich. In meinem Kopf. An den Affen gerichtet, der – wie das für Affen üblich ist – seiner Aufregung Ausdruck verleiht, indem er auf und ab springt, hyperventilierend herumkrakeelt und gegen seine Gitterstäbe schlägt. Zu Efren sage ich so was wie: „Cool, dann machen wir die entspannenden, nicht lebensgefährlichen Sachen halt morgen.“. Wahrscheinlich habe ich den letzten Teil nur gedacht.
Eine Stunde später wandern wir inmitten des Regenwaldes. Ich muss meine Augen ständig auf dem Boden halten, jeder Schritt will geplant und bedächtig ausgeführt sein, damit man auf dem glitschigen Trampelpfad nicht auf die Abenteurerschnauze fällt. Außerdem ist der August Schlangenmonat hier im Wald von Belize.
Hin und wieder machen wir Pause und schauen uns um. Aber auch während wir mit dem Blick auf die eigenen Stiefel marschieren, ist kein Zweifel: Wir sind im Regenwald. Der feuchte, süße Geruch des immernassen Waldes ist überall.
Unser Wanderweg führt uns über 4 Anstiege, jeder jeweils steiler als sein Vorgänger. Ich nutze meine Kamera als willkommene Ausrede für Fotopausen und falle etwas zurück. Als ich mit dem Hauptfeld der Gruppe aufschließe stehen 3 unserer 4 Guides mit 6 anderen auf einer kleinen Lichtung. Die Leute keuchen, schwitzen und besprühen sich selbst oder gegenseitig mit Moskitospray.
Ich habe meinen Blick immer noch auf die Füße gerichtet, als ich sie mit einem zuversichtlichen: „Und, wo ist denn nun dieses alberne schwarze Loch, von dem alle reden?“ begrüße. Niemand antwortet, doch als ich endlich hoch schaue antwortet einer der Bergführer trocken: „Öhm, da.“ während er mit dem Daumen über seine Schulter zeigt.
Das ist der richtige Augenblick, um nochmal auf den Affen zurück zu kommen.
Der Affe ist vor allem eins: Schnell. Während mein Blick dem Daumen des Bergführers über seine Schulter, vorbei an zwei schwitzenden Wanderern, durch einen Busch, über die Klippe in ein dunkles Nichts folgt, trifft mich die Höhenangst wie ein unerwarteter Tritt gegen die Nasenwurzel. Keine Ahnung, ob ich schwitze (schließlich bin ich ja von der Wanderung schon komplett naß), aber die anderen Symptome sind alle da: Weiche Knie, der Wunsch, sich auf den Boden zu werfen und von der Kante weg zu robben. Ich japse und springe sofort von der Klippe weg und erkläre meiner Frau dort, dass ich gerne weiterwandern will.
„Aber schau doch mal“, sagt sie, „von hier aus kann man prima sehen, wo wir uns gleich abseilen werden.“ Durch zugekniffene Augen peile ich rüber. Das Schwarze Loch ist entstanden, als ein großes Höhlensystem einstürzte. Die Kante des schwarzen Lochs ist nicht eben, auf der anderen Seite des Lochs ist sie deutlich höher als hier. Wenn man rüberschaut sieht man dort einen braunen Fleck, an dem Erdreich über die weiße Wand herabbröckelt. „Siehst du den braunen Fleck? – Da springen wir gleich runter.“
Springen. Das war es, was dem Affen noch gefehlt hat. Meine Augen fokussieren die Klippe vor meinen Füßen. Es sind ungefähr 3 Meter bis dorthin. Sofort sehe ich mich mit großen Schritten auf die Kante zu rennen und springen.
Ich bin nicht selbstmörderisch. Ich habe halt nur dieses Affenproblem.
„Na, dann sollten wir wohl sehen, dass wir da hin kommen!“ sage ich, und überlasse mich der einzigen Kraft, die den Affen gerade im Zaum halten kann: Dem nicht ganz so tief versteckten Angeber. Der wohnt in der Nähe vom Affen. Aber dichter am Ausgang.
Mit schnellen Schritten und einer aufrechten Haltung, die Selbstsicherheit! In die Welt hinaus brüllt stapfe ich los und fühle, wie die Buzzwords meiner Karriere wie fette Libellen in meinem Fahrtwind segeln. Leadership! Driverseat! Verantwortung. Jetzt zeigt Euch der Holger mal, wo’s hier lang geht!
Nach 20 Meter stelle ich fest, dass ich den falschen Weg gegangen bin und drehe rum, um die Gruppe wieder einzuholen.
Nach kurzer Zeit kommen wir am Absprungpunkt an. Ab hier ist jeder für sich und alleine mit seinen Ängsten. Ich kann sehen dass mindestens ein anderer genau den gleichen Kampf kämpft wie ich.
Unsere Führer packen uns schnell und beruhigen uns mit der richtigen Mischung aus Humor und Sorgfältigkeit. Dann fragen sie, wer zuerst über die Klippe gehen will.
„Hier, ich, ich will zuerst“ ruft einer und nach einem kurzen Blick in die Runde stelle ich fest, dass ja, tatsächlich, ich bin der Typ, der die Hände in der Luft hat. Ich werde sicherlich nicht hier oben warten und den ganzen anderen dabei zuschauen, wie sie langsam in den Abgrund verschwinden während mein Affe mit meinem Neocortex Wrestlemania XI nachstelle.
Kerstin wird im Seil neben mir festgebunden und zusammen lassen wir uns über die Klippe herab. Ich habe eine Kamera um den Hals hängen während wir die andere bei den Klettermeistern gelassen haben, die von oben Fotos schießen. Meine recht Hand liegt an meiner Hüfte, das Seil an dem mein Leben 100 Meter über einem dunklen Loch hängt gleitet langsam, aber natürlich viel zu schnell für meinen Geschmack durch die Hand. In Wirklichkeit hängt mein Leben natürlich nicht an meiner Hand – alle Abseiler sind doppelt gesichert und hängen oben am zweiten Seil an einem der Bergführer. Selbst wenn ich hier bewußtlos würde – Chico würde mich einfach sanft auf dem Waldboden ablegen.
So etwas zu wissen und sich sicher zu fühlen sind zwei paar Schuhe wenn der verdammte Affe am Toben ist. Das Seil gleitet schneller und schneller durch meine Hand – der angstvolle Griff wird langsam aber sicher zum angstvollen Krampf.
Nach ca. 20 Metern rufe ich „Stop“ – das Zeichen, dass ich eine Pause brauche. Der Sicherheitsbergführer strafft das Seil und ich hänge. Neben mir baumelt Kerstin. Während ich versuche, an die Kamera zu kommen, sehe ich kurz im Augenwinkel was hinter mir ist: Himmel, eine Menge Nichts, dann Baumwipfel, aber erst eine sehr schmerzhafte, kaum vorstellbare Distanz unter mir. Meinem Magen wird’s zu blöd und er versucht, den Körper zu verlassen. Der Körper wiederum versucht, die Situation zu lösen, indem er sich rundherum mit übelriechendem Sekret bedeckt (Angstschweiß). Hilft nicht wirklich, rundet das Erlebnis aber aromatisch ab.
Der „Black Hole Drop“ ist ein anspruchsvolles Outdoor-Abendteuer im Cayo-Distrikt von Belize. Nach einer 2-stündigen Wanderung durch den Regenwald seilt man sich 100 Meter tief in das Actun Loch Tunich-Höhlensystem ab. Auf dem Weg hängt man frei über dem Blätterdach des Dschungels.
Touren:
Der Black Hole Drop ist in Mitten eines privaten Nationalparks, der von Ian Anderson’s Caves Branch betrieben wird. Man kann die Touren als Tagestour (ca. 105 USD) oder als Gast des Resorts (Übernachtungen von 34 USD für ein einfaches Bett im Schlafsaal bis 400 USD für das luxuriöse Baumhaus) buchen. In beiden Fällen sollte man um 8:30 vor Ort sein. Die Tour wird an den meisten Tagen angeboten – um sicher zu gehen sollte man vorher anrufen.
Die Tour startet um 9:00 Uhr und endet gegen 15:00.
Es gibt eine Menge andere Touren, von entspannten Vogeltouren bis zu einer Woche Überlebenstraining im Urwald.
Anreise:
Ian Anderson’s Caves Branch liegt an Meile 41 ½ des Hummingbird Highway. Von Belize City aus (ca. 2 Stunden Fahrt) steigt man ca. 15 Minuten hinter Belmopan auf dem Weg nach Dangriga aus. Wenn man aus der Richtung Dangriga kommt (ca. 1 ½ Stunden Fahrt) liegt es entsprechend 15 Minuten vor Belmopan. Wenn man mit einem Bus kommt muss man einfach dem Fahrer sagen, dass man zu Ian Anderson’s Caves Branch möchte. Von der Bushaltestelle aus sind es 15 Minuten zu Fuß.
Schneller (und teurer) geht der ganze Weg mit dem Taxi – oder man lässt sich von Ian Anderson abholen.
Ausrüstung:
Wanderschuhe oder gut eingelaufene Turnschuhe sind Pflicht, um Verletzungen an den Zehen zu vermeiden. Lange Hosen sind ebenfalls ein Muss, da man oft Schlangen treffen kann. Moskitos trifft man sicherlich, weshalb man Moskitospray mitbringen sollte. Und eine Kamera.
Wasser, Mittagessen und Kletterausrüstung wird zur Verfügung gestellt – aber ich habe mich sehr gefreut, ein paar Müsliriegel dabei gehabt zu haben.
Außerdem ein kleines Handtuch: Ihr werdet schwitzen. Versprochen.
Mein Nacken versteift sich wie ein Peitschenschlag und ich studiere die Wand vor mir mit höchster Konzentration.
Kerstin dreht sich neben mir im Kreis und hat Spaß.
Wir lassen uns weiter herunter, auf ca. 30 Metern Höhe beginnen die Baumwipfel. Irgendjemand ruft mir zu dass ich aufpassen soll, nicht im Baum hängen zu bleiben. Mir doch egal – selbst eine Baumkrone wäre mir im Moment lieber als hier zwischen dem Himmel und meinem sicheren Tot rumzuhängen.
Nachdem meine Füße den sicheren, weichen, vertrauenswürdigen, gemütlichen, sich liebevoll um meine Knöchel schmiegenden, duftenden Waldboden berühren löse ich den Griff um das Seil. Zumindest versuche ich es. Wo vorher mein Unterarm war ist nun ein krampfiger Knoten, die Finger lösen sich in einer schmerzhaften Explosion einzeln vom Kletterseil. Ich stolpere vom Landeplatz weg, kichere, lache, rufe und brülle ungläubig.
„Wir haben es geschafft, wooohoooo“ hallt durch den Dschungel, albernes Gegacker wird von den steilen Wänden zurückgeworfen.
Ich geb’ der Chefin einen Kuss. Ich mach die Kettensäge, ich recke meine immer noch verkrampfte Hand zur Schuhmacherfaust in Richtung Blätterdach. Ich hab’s geschafft. Ich habe den Black Hole Drop geschafft.
Ohne einmal richtig hingeschaut zu haben.
Nachdem es alle herunter geschafft haben, essen wir zu Mittag. Auf einem großen Findling wird ein weißes Tischtuch ausgebreitet. Es gibt Tortillas, Salami, Salat, Tomaten, Zwiebeln, Mayonnaise und scharfe Sauce.
Es ist ein sehr einfaches Mittagessen. Es ist eins der besten meines Lebens. In Portugal habe ich einmal ein Sandwich gegessen, das nach allen Standards mittelmäßig war. Aber es war das Sandwich nach meiner ersten gestandenen Welle. So auch die Tortilla am Fuße des Black Holes in Belize. Sie schmeckte süß und gehaltvoll und reich und erhebend.
Nach einer schlangenlosen Wanderung sind wir um 3 Uhr nachmittags zurück an der Bar. Ich bestelle 4 kalte Bier. „Mach sie extra groß und extra kalt, wir haben gerade das schwarze Loch bezwungen!“ sage ich zum Barkeeper. Er lächelt. Er kennt das.
Ich setze mich neben Efren und schiebe ein Bier über den Tisch. Ich habe entschieden, ihm noch eine Chance zu geben.
Bin ich enttäuscht, dass ich keine Schlange gesehen habe? Nö. Bin ich enttäuscht, dass ich den Black Hole Drop nicht gesehen habe? Ein bisschen schon. Aber ich weiß, dass ich zurück kommen werde. Und dann, habe ich mir selbst geschworen, werde ich hinschauen. Weil jetzt weiß ich ja, dass ich nicht sterbe, wenn ich es tu.
„Es wird Spaß machen“ flüstert der Affe und legt sich schlafen.
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