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Holger is a management consultant turned volunteer. He loves to take pictures, run around in the sun, dive and he has never met a beer in his life he didn't like.
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Punta Gorda ist ganz im Süden von Belize. Obwohl es noch mindestens eine Ortschaft gibt, die südlicher liegt, ist Punta Gorda doch Anfang und Ende von vielen Reisen durch Belize. Warum? In Punta Gorda legen die Wassertaxis an, die nach Südosten die Verbindung nach Guatemala sind.
Wir fahren in die Stadtmitte von Punta Gorda, die von einem farbenfrohen Turm mit den belizischen Wahrzeichen überschattet wird.
Die Stadt ist voller Menschen. Komisch – gestern war hier noch alles eher ruhig. “Heute ist Markttag”, sagt unser Reiseführer. An Tagen ohne Markt fahren hier nicht einmal überregionale Busse hin. Heute allerdings geht hier die Post ab.
Wir laden uns selbst in unseren Kleinbus und verlassen Punta Gorda Richtung Berge, wo wir eine traditionelle Schokoladenfabrik besichtigen sollen. Punta Gorda und der gesamte Toledo District sind berühmt für die Schokolade – die Kakaobohnen waren früher das Zahlungsmittel, wenn die Maya aus den Bergen mit den Mayas vom Meer gehandelt haben, um an deren Fisch und Salz zu kommen.
Wir halten kurz an einer Tankstelle und ich bitte, naja, eher verlange, dass wir auf dem nächsten Hügel einen Fotostop machen. Als wir vor zwei Tagen hier ankamen, habe ich den Blick und das Foto verpasst. Das passiert mir nicht noch einmal.
Wir machen den Stop, auch wenn unsere Gastgeber mich für verrückt halten. Mir egal – ich kann über die gesamte Ebene sehen, die vor Punta Gorda liegt und von den Bergen bis zum Meer führt.
Ich stehe an die Leitplanke gelehnt im Regen und versuche, Landschaftsaufnahmen aus der Hand zu machen – verdammter Mist, hätte ich doch ein Stativ mitgenommen.
Der Blick ist fantastisch. Der Regenwald erinnert mich immer nur an eins: Jurassic Park. Wahrscheinlich war ich in einer sehr wichtigen Entwicklungsstufe, als ich den Film gesehen habe (bzw. das Buch gelesen habe – ich war einer der 8 oder 9 Leute, die bei Jurassic Park das Buch gelesen haben bevor sie den Film gesehen haben. Und das nachdem der Film schon draußen war.). So oder so – ich warte bei diesen Blicken über den Dschungel immer auf den T-Rex und habe ein Auge auf mein Wasserglas.
Während wir mit dem Bus weiter über enge Pfade durch den Wald fahren, erzählt mir einer der Jungs im Bus seine Geschichte. Er ist K’ekch’i Maya und bis vor kurzem war er Manager für eine Firma auf Ambergris Caye – die größe und am weitesten entwickelte Insel vor Belize. Das hat er alles zurück gelassen, ist zurück in den Süden gekommen und bestellt hier nun einen morgen Land, den sein Vater für ihn ‘aufgehoben’ hat, während er weg war. Er sagt es nicht, aber es klingt für mich so, als ob er einem Ruf gefolgt ist. Und es war nicht einfach, dem Ruf zu folgen.
Kurz vor der Schokoladenfabrik sammeln wir unseren Fixer auf – also unseren lokalen Kontakt und Übersetzer. Wenige Minuten später parken wir vor dem Chocolate Shop – der geschlossen ist. Keiner zuhause. Solche Dinge passieren – wir sind in Belize. Später finden wir heraus, dass der Besitzer vergessen hat dass wir kommen.
Es dauert nicht lange, bis eine Alternative gefunden ist. “Lasst uns Florencio besuchen” sagt der Fixer. Der Van trägt uns durch immer engere und gewundenere Pfade durch die Berge während die Gewitterwolken sich zusammenziehen.
Florencios ganzer Name ist Florencio Mess – und er ist ein sehr berühmter Maya Musiker. Das weiß ich allerdings nicht, als ich an seinem Haus ankomme. Für mich ist er ein kleiner Mann der auf einem Hügel wohnt und uns sehr herzlich in sein Haus einlädt. Er lebt mit seiner Frau auf die traditionelle Maya Weise: Ein großer Raum, offene Feuerstelle, Hängematten unter dem Dachgebälk.
Mr. Florencio (die respektvolle Anrede in Belize ist Mr./Ms. und Vorname) ist ein Musiker und Instrumentenbauer. Er spielt ein Instrument, das er Harfe nennt. Es ist die traditionelle Majaharfe. Ich muss zugeben, dass die Harfe auch teilweise (also, obenrum) wie eine Harfe aussieht. Der untere Teil allerdings erinnert eher an ein Kanu. Die Harve ist auf einen riesigen Resonanzkörper gebaut, der ihr einen tiefen, warmen Klang gibt – im Gegensatz zu diesem Saitenkratzen bei den Harfen die im Orchester herum Plingen und Plongen.
Er scheint etwas traurig, weil er nicht wusste, dass wir kommen. “Ein paar Jungs aus der Nachbarschaft sind hier reingekommen als ich nicht da war und haben mit der Harfe gespielt. Jetzt ist sie total verstimmt” sagt er – und stimmt die Harfe während er uns Geschichten erzählt.
Sein Englisch ist ziemlich gut, die meisten Mayas sind trilingual und sprechen ihren Maya Dialekt, Englisch und Spanisch. Was mich beeindruckt ist jedoch seine Wortwahl.
“This song is about a story that happened a long time ago – about the time when Jesus lived. It has been a part of our history ever since.” sagt er. Aber nicht so. Was er tatsächlich sagt ist: “This history is about a history that happened much history ago – in Jesus’ history. It is part of our history.” Lieder, Geschichten, das Konzept von Zeit als lineare Größe, Vergangenheit, kulturelles Erbe – das ist für ihn alles eins.Nur ein Tag, nachdem ich Dr. Palacio getroffen habe, der mir erklärt, dass Garifuna kein Verständnis für das Konzept Zeit haben also noch jemand, der Zeit anders wahrnimmt als ich. Ein Maya, für den der Unterschied zwischen einer alten Geschichte und einem gesungenen Lied unwichtig ist.
Das sind diese Situationen, die mich zum Nachdenken bringen – insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass der Zeitlose eine merkwürdige Sammlung von pinken und gelben Uhren an einen Balken getackert hat.
Wir sind eine gute Stunde bei Mr. Florencio und hören ihm zu, wie er seine Harfe bläst und seine Violine bespielt. Beide hat er selbst gebaut. Er erzählt uns die Geschichten der Instrumente und wie er sich als Junge beweisen musste, damit sein Lehrer ihn akzeptierte. Die Geschichten von seinem Lehrer und von seinen Schülern erinnern mich sehr an die Geschichten, die mein Karatemeister erzählt hat – von Prüfungen, Ehre, Loyalität, Verrat.
Als eines seine Hühner durch die Tür schaut überlege ich, was man Mr. Florencio als Gegenleistung für seine Gastfreundschaft und seine Geschichten gibt. Geld? Hat Geld einen Wert für ihn? Braucht er Geld? He trägt ein Ralph Lauren Polo Shirt – aber das muss nichts heissen. Mein Schwieger-Großvater trägt auch gerne eine Mütze, auf der “Hiphop Connection” steht, ohne dass ich jetzt sagen würde, dass er weiß wer Tupac war. Mr. Florencio geht in eine Ecke seiner Hütte und löst die Situation für mich, indem er eine Kartong mit DVDs herausholt. “Die verkaufe ich meistens, wenn ich auf Tour bin. In Canada oder Australien oder Europa oder so”, sagt er nebenbei.
Bis zu diesem Punkt wusste ich nicht, wer er ist. Für mich war er nur ein kleiner, komischer Mann, der auf einem großen Hügel wohnt. Ein sehr freundlicher und vielleicht erleuchteter kleiner, komischer Mann. Aber hat einfach ein Typ auf einem Hügel. Jetzt verstehe ich langsam, dass ich einen belizischen Star kennenlernen durfte. Und – noch viel wichtiger als das:
Einen Hüter der traditionellen Maya-Musik.
Ich kaufe die DVD und bedanke mich. Mr. Florencio bringt uns vor die Tür und macht mit jedem in unserer Gruppe bereitwillig ein Foto – das ihm aber sichtlich unangenehm ist.
Wir krabbeln von seinem Hügel herunter und versuchen, nicht auf den steinigen Kanten auszurutschen, die vom Regen aufgeweicht wurden während wir in der Hütte saßen. Dann hüpfen wir zurück in den Minibus, um uns auf den Weg zu machen. Zur nächsten Geschichte. Zum nächsten Song.